Hubert Wetzel, Süddeutsche Zeitung:
Aber vielleicht ist die Frage, ob Donald Trump eine zweite Amtszeit bekommt, gar nicht die wichtigste. Denn das größte Problem, das die Pandemie offengelegt hat, bleibt ja bestehen, auch wenn Joe Biden Präsident wird: Das Virus hat gezeigt, wie zerbrechlich die amerikanische Gesellschaft ist. Wie wenig es selbst im Angesicht einer Jahrhundertkrise die „eine, unteilbare Nation“ noch gibt, die im Fahneneid beschworen wird. Wenn – grob gesagt – die republikanischen Amerikaner vor allem daran interessiert sind, möglichst schnell wieder in die Mall gehen zu können, während die demokratischen Amerikaner Angst davor haben, auf einem Krankenhausflur zu ersticken, dann stimmt etwas nicht – mit Amerika. Wenn bewaffnete Milizionäre vor Parlamenten aufmarschieren und einige Gouverneure ihren Kollegen im Nachbarstaat mitteilen, sie ließen sich nicht vorschreiben, ob bei ihnen die Geschäfte auf oder zu sind, dann weht ein Hauch von Rebellion und Zerfall durch die einst Vereinigten Staaten.
Trump schlägt Keile in diese Spalten, weil es ihm politisch nützt. Aber es sind die Menschen im Land, die das zulassen; und die den Preis dafür bezahlen. In der Corona-Katastrophe haben die Amerikaner sich auch selbst im Stich gelassen.