Irina Scherbakova, Die Zeit:

Dönhoff-Preisträgerin: Die Historikerin Irina Scherbakowa © Henning Kretschmer für DIE ZEIT

Nun, wenn man sein Lebenswerk oder gar sein ganzes Leben von einer Diktatur zertreten sieht, seine Lebenswelt durch Stumpfsinn und Brutalität zerstört, besteht die Gefahr, aber auch die Verlockung der Hoffnungslosigkeit. Doch wo Hoffnung verschwindet, nimmt bald Verbitterung und Ohnmacht ihren Platz ein. Aber das ist genau das Ziel von Diktaturen wie jener in Russland.

Als ich vor vielen Jahren Frauen befragte, die Stalins Kerker und Gulags überlebt hatten (wir hatten damals noch keine Hoffnung auf die Wende), um zu begreifen wie man so etwas überhaupt überleben kann, sagten mir viele: Ich habe gehofft. Ich fragte: Worauf denn, im Angesicht von 25 Jahren Lagerstrafe? Und es kam die Antwort: Ich habe einfach nur gehofft.

Ω Ω Ω

Ich komme jetzt auf die Hoffnung zurück, und ich muss gestehen, dass es mir nicht leichtfiel, mir diese nach dem 24. Februar zu bewahren. Hoffnung worauf eigentlich? Auf unsere, wie es scheint, hoffnungslose Sache? Ich muss sagen, dass diese Hoffnung für mich in der Notwendigkeit eines schonungslosen Blicks besteht. Um zu verstehen, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte und was mit der russischen Gesellschaft passiert ist. Um sich der Ursachen und Folgen zu stellen und unsere Arbeit fortzusetzen.

Und genau das nenne ich „Russland verstehen“. Dieser Weg ist lang, er ist schwer, aber er ist unentbehrlich.

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