Mit seinen Kameraden durfte Brandt unter Bewachung die umliegenden Bauernhöfe besuchen, um Lebensmittel einzuhandeln. Auf einem der Höfe wurden sie nicht nur freundlich bewirtet, sondern konnten den Londoner Rundfunk abhören, indes die deutschen Bewacher brav auf der Türschwelle saßen und sich Brot und Milch schmecken ließen, das ihnen die Bäuerin anbot. Natürlich ist er brennend daran interessiert zu erfahren, wie diese jungen Soldaten denken. Haben sieben Jahre NS-Herrschaft, haben Hitlers unbestrittene innen- wie außen­politische Erfolge genügt, aus ihnen fanatische Nationalsozialisten zu machen? Die Wachmannschaft besteht aus Rheinländern, mit denen er mit seinem radebrechenden Deutsch, das er schon für den Berliner Untergrund geübt hat, Kontakte sucht. Sein Eindruck: Den meisten ist der Nationalsozialismus Fassade geblieben — »oder eine Naturgewalt, der man sich am besten nicht entgegenstellte. Politik war für sie etwas, mit dem sich ›die da oben‹ befassen und auf das man keinen Einfluß hat: Man tut gut daran, sich auf die eigene private Welt zurück­zuziehen und sein Denken und Hoffen auf die geplante Heirat nach dem Kriege zu richten, auf den Küchenschrank und die Schlafzimmer­einrichtung, die sich die Braut wünschte.«

—Peter Merseburger, Willy Brandt, (München: Pantheon Verlag, 2013), 168.

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