Jörg Wimalasena, Die Zeit:

Wer in diesen Tagen die mediale Bericht­erstattung verfolgt, trifft auf unverhohlene Entzückung über die Personal­entscheidungen des künftigen US-Präsidenten Joe Biden. Der erste Latino-Heimatschutzminister, die erste weibliche Geheimdienst­koordinatorin und der erste schwarze Verteidigungsminister. Endlich, so der Tenor, spiegele sich die Vielfalt des Landes auch in der Besetzung der höchsten Regierungsämter wider.

Bei so viel Begeisterung für Äußerlichkeiten bleibt naturgemäß wenig Zeit für einen näheren Blick auf die politischen Überzeugungen und Verbindungen der Kandidatinnen und Kandidaten. Dass Bidens designierter Verteidigungsminister Lloyd Austin beispielsweise im Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Raytheon sitzt, war NBC nicht einmal eine Erwähnung wert, und auch die Nachrichten­meldungen von CNN, der New York Times und der Washington Post beschäftigten sich nur in wenigen, knappen Zeilen mit diesem Thema. Dabei gäbe es durchaus Gründe für kritische Nachfragen. Raytheon liefert unter anderem Waffensysteme für Saudi-Arabiens Krieg im Jemen und arbeitet zudem eng mit dem US-Militär und dem Pentagon zusammen. Dass nun jemand, der beste Verbindungen zur Rüstungsindustrie pflegt, einen der Hauptauftraggeber für lukrative Rüstungsprojekte führen soll – um die nicht zuletzt auch Raytheon konkurrieren wird –, das scheint den überwiegenden Teil der US-Medien kaum zu interessieren.

Stattdessen beschäftigte man sich in den Redaktionen ausgiebig mit der gesellschafts­politischen Bedeutung von Bidens Personalwahl für Frauen und Minderheiten. Es zählt die Farbe, nicht der Inhalt.

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In solchen Schwerpunktsetzungen zeigt sich einmal mehr eine fast schon obsessive Fixierung des Politik- und Medienkosmos auf das Thema diversity sowie eine bemerkenswerte Begeisterung für kontext- und folgenlose Symbolpolitik. Das ist vor allem bedenklich, weil identitätspolitische Fragestellungen mittlerweile dazu missbraucht werden, legitime gesellschafts­politische Debatten zu unterbinden und progressive politische Forderungen zu diskreditieren.

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