Fassungslosigkeit

Susanne Mayer, Die Zeit:

Ein schmales Buch, nur eine Handvoll, nicht mehr als zehn Essays – aber die Lektüre der politischen Beobachtungen von Eliot Weinberger ist geeignet, Fassungslosigkeit zu erzeugen. Die Essays erscheinen nun in dem Buch Neulich in Amerika, sie sind hier erstmals in deutscher Sprache versammelt und umfassen die Jahre der Präsident­schaft George W. Bushs und der bisherigen Trump-Ära. In je fünf Kapiteln zu beiden fährt Weinberger mit einer Art von Vergrößerungsglas über die politische Landschaft seiner Heimat, die Vereinigten Staaten. Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinweg fokussiert er hier eine Zeitungsnotiz, dort eine Rede. Eine Partei­versammlung, eine Statistik. Ein Tweet poppt hoch, noch einer. Oder ein Foto. Und alle diese Eindrücke, dicht an dicht zusammen­gelegt wie Hunderte von Puzzlesteinchen, ergeben ein Tableau des Schreckens.

Man sieht auf ein Land, das im Griff schamloser gieriger Politiker in Korruption versinkt. Die Institutionen werden von Günstlingen gekapert. Viele Bürger gehen in Armut unter, und jetzt ist da auch noch Covid-19. 3.445.500 Millionen Infizierte (Stand: 15. Juli), ein tägliches Plus von zuletzt 60.000. Bisher starben rund 136.000 Menschen in den USA an den Folgen der Viruserkrankung. Das Land ist in Weinbergers Texten als failed state zu besichtigen, der weder die Sicherheit seiner Staatsbürger, noch ihre Wohlfahrt oder die Rechtsstaatlichkeit bewahren kann. Will man diesem Buch etwas vorwerfen, dann wäre es, dass es unser Verlangen nach Hoffnung nicht bedient oder nur in gelegentlichen Tupfern einer souveränen ironischen Erzählhaltung zeigt, dass wir immerhin, in diesen schlimmen Zeiten, einen scharfsinnigen, gebildeten Autor an der Seite haben, einen, der das brillante, das intellektuelle Amerika vertritt.

Ω Ω Ω

Man versteht jetzt, dass unsere lustvoll betriebene Fokussierung auf die bizarren Äußerungen und Handlungen Donald Trumps vielleicht vor allem einem dient: Wir können ausblenden, wie sich der politische Niedergang der USA schon lange angebahnt hat, etwa in den Bush-Jahren, und sich nun, in der Trump-Ära, auf gespenstische Weise beschleunigt. Nicht erst Trump, schon Bush gab den reichen Bad Boy, der durch Desinteresse, Unkultiviertheit und politische Stümperei auffiel. Bereits der Einzug von George W. Bush ins Weiße Haus war das, was Weinberger eine „korrupte Macht­ergreifung“ nennt. Nun vollendet sich, was einer Erosion des demokratischen Rechtsstaates gleich­kommt, auf dessen Gründung der Mythos der Vereinigten Staaten von Amerika fußt.

The language here seems entirely appropriate, and it’s that fact which Americans resolutely insist on avoiding in an obsessive fixation on the latest outrage perpetrated by the Bad Man in the White House, the latest blow for freedom struck by courageous statue-topplers or tweet-posters. The US media I read, the attitude evidenced by Americans I have contact with, shows a body politic uncomprehending as it observes plague sores erupting on its skin, searching for the right measure of irony, self-deprecating humor when speaking of the misery caused by self-flagellation. It is the Evil One, the Bad Man. He’s to blame. I am helpless.

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