Die Wahrheit

Klaus Brinkbäumer, Die Zeit:

In den USA hat ein politisches Experiment begonnen: Lässt sich eine falsche Geschichte bereits in jenem Moment erzählen, in dem eine triste und darum leider ganz und gar andere und vor allem wahre Geschichte erst noch geschieht und fortgeschrieben wird? Wird am Ende diese Erfindung, also das Gegenteil der Wahrheit, sogar geglaubt werden – obwohl die Wirklichkeit Tag für Tag zu besichtigen ist und von der Nation erlitten wird?

Die Wahrheit ist: Die Vereinigten Staaten scheitern bislang an der Corona-Epidemie. 2.700 Amerikaner starben vergangenen Donnerstag und 3.000, ungefähr so viele wie am 11. September 2001, werden es pro Tag laut allen seriösen Berechnungen in den Juni-Wochen sein. Alle Schreckenszahlen steigen noch immer, die Todesfälle, die Infektionen, sowieso die Arbeitslosigkeit. Und noch immer wirkt das Land erstarrt, denn es hat Infrastruktur, medizinische Grund­versorgung und solidarisches Denken bereits vor Jahren abgeschafft, und auch im fünften Krisenmonat hat es viel zu wenig Daten und keine Strategie, es gibt ja noch immer zu wenig Tests und viel zu wenig Wissen über die Pandemie.

„Wir erleben eine Radikalisierung und Entfesselung des Propaganda-Regimes der Trump-Administration“, schreibt per E-Mail der deutsche Politikwissenschaftler und Philosoph Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress. „Ob sich diese Strategien der Massenmanipulation durch­setzen oder nicht, entscheidet über die Zukunft der USA und der Welt. Durchsetzen können sich die Narrative nur unter Absehung von der Realität – es kommt für Trump darauf an, genug Amerikaner/innen zu mobilisieren, die diese Wirklichkeitsflucht mitmachen.“

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