Die einen haben die Macht, die anderen die Ideen

Jörg Wimalasena, Die Zeit:

Eine „blaue Welle“, von der vor der Wahl die Rede war, hat es nicht gegeben. Und deshalb beginnt nun die Debatte über die Ursachen für das schwache Abschneiden. Auf der einen Seite steht das konservative Partei­establishment, auf der anderen der immer stärker werdende linke Flügel um die junge Kongress­abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez.

Das Medium der Auseinandersetzung ist die New York Times. Nur zwei Tage nach der Wahl berichtete die Zeitung von einer Telefonkonferenz der Fraktion, in der die eher konservative Abgeordnete Abigail Spanberger sagte: „Wir dürfen das Wort Sozialismus nie wieder verwenden. Wir haben (wegen dieses Wortes) gute Mitglieder verloren.“ Eine erstaunliche Einschätzung zu einem Zeitpunkt, zu dem ein erheblicher Teil der Wahlergebnisse noch gar nicht feststand. Spanberger spielte darauf an, dass Ocasio-Cortez, der ehemalige Präsidentschafts­kandidat Bernie Sanders und eine Handvoll weitere Abgeordnete sich als demokratische Sozialisten bezeichnen, wobei damit lediglich die Einführung sozialstaatlicher Prinzipien westeuropäischen Zuschnitts gemeint ist, ähnlicher der deutschen Sozialdemokratie zum Beispiel.

Mit Joe Biden zieht ein durchweg konservativer Politiker ins Weiße Haus ein, der seit Jahrzehnten dem rechten Parteiflügel angehört und in Washington politisch bestens vernetzt ist. Zudem machte sich Biden im Wahlkampf lustig über den Linken Bernie Sanders („Ich habe den Sozialisten geschlagen“) sowie den Green New Deal, sprach sich für Fracking aus und ergreift derzeit keine merkliche Initiative, die progressiven Reformer in seine künftige Regierung zu integrieren. Dem linken Parteiflügel bleibt nur die Rolle als Mahner an der Seitenlinie und die zähe Graswurzelarbeit, um ihre Basis zu erweitern.

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